VKSI Magazin #7 – Prof. Lockemann

prof_lockemann1972 wurde in Karlsruhe die Fakultät für Informatik gegründet, im gleichen Jahr trat auch Peter Lockemann seine Professur in Karlsruhe an. Das Leben des 1935 geborenen Lockemanns ist durchgängig eng mit der Entwicklung der Disziplin Informatik verbunden – auch wenn diese am Anfang noch gar nicht so hieß. Er hat – unter anderem – das FZI mitgegründet, über hundert wissenschaftliche Artikel und vier Lehrbücher geschrieben, er hat regelmäßig Gastprofessuren im Ausland und Berateraufgaben für Ministerien wahrgenommen und zehn seiner Studenten sind heute selber Professoren. 2005 wurde Lockemann das Verdienstkreuz am Bande verliehen, die Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität verlieh ihm 2003 für seine Verdienste in der Forschung und als Förderer des Wissenstransfers in die Unternehmenspraxis die Ehrendoktorwürde. Ich treffe ihn in seinem Büro im Forschungszentrum Informatik, wo er dem VKSI-Magazin einige Fragen beantwortet.

Herr Professor Lockemann, wann und wie sind Sie während Ihres Studiums der Nachrichtentechnik zur Rechnertechnologie gekommen?

Lockemann: Als Robert Piloty frisch habilitierter Privatdozent in München war, hörte ich 1956, während meines Studiums der Nachrichtentechnik, seine Vorlesung über die Grundzüge der Rechnertechnik von. Als Deutschland 1954 erlaubt wurde, Forschungsprogramme im Bereich Rechnertechnologie einzurichten, entwickelte sein Vater Hans Piloty zusammen mit dem Mathematiker Robert Sauer an der TH München die PERM (Programmgesteuerter Elektronischer Rechenautomat München). Die PERM wurde lange Jahre im Rechenzentrum der TH München und bei der Ausbildung von Entwicklungsingenieuren für die deutsche Computerindustrie benutzt. Heute steht sie im Deutschen Museum in München. Ich habe als Werkstudent dort erst mal Schaltkreise verlötet und Magnetköpfe für den Trommelspeicher zusammengebaut , meine Diplomarbeit zum Magnetkernspeicher gemacht, promoviert habe ich dann in Transistortechnik.

1963 sind Sie nach der Kalifornien ausgewandert, um dort am Caltech zu arbeiten. Das California Institute of Technology, gehört laut diversen Rankings zu den zehn besten Universitäten der Welt. Womit haben Sie sich dort beschäftigt?

Lockemann: Das waren prägende Jahre. Zum einen bin ich erst dort mit der Softwaretechnik – naja, das war eigentlich noch Programmierung – in Berührung gekommen. Zum zweiten gab es dort gar keine Computer Science, sondern ein »Information Science«-Programm, das anwendungsgetrieben war. Zunächst habe ich in einer Gruppe gearbeitet, die Biosignale ausgewertet hat: Wir haben Experimente mit Sonden in Fliegenaugen durchgeführt und schon damals große Datenmengen produziert und ausgewertet. Später wechselte ich in eine sozialwissenschaftliche Gruppe, die Sprachwissenschaft in Verbindung mit der Auswertung anthropologischer Daten betrieb. So bin ich mehr oder weniger zufällig in die Datenbanktechnik geraten. Wir haben viel experimentiert und waren eine der ersten, die RecoveryTechniken und einen softwarebasierten virtuellen Speicher entwickelten. Unser Datenbanksystem war graphbasiert – damals nicht unüblich, aber erst heute wieder aktuell. Doch unsere Ansätze haben zu wenig Leistung gebracht. Rückblickend wäre das die Zeit gewesen, zu IBM zu wechseln.

Nach sieben Jahren sind Sie 1970 dann doch wieder zurück nach Deutschland gegangen.

Lockemann: Meiner Frau und mir hatte es in Kalifornien sehr gut gefallen, doch die Kinder waren klein und wir wollten eine klare Entscheidung für ihre Schulzeit treffen. In Deutschland habe ich dann in Bonn bei der GMD (damals: Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung mbH) gearbeitet und war involviert in ein Projekt zur Entwicklung eines juristischen Informationssystems. Dieses Fachinformationssystem stellte die Gesetzeslage und die Urteile für Juristen in einem »Information Retrieval System« zusammen und – darauf bin ich durchaus stolz – existiert heute noch. Von Karlsruhe erhielt ich dann die Aufforderung, mich um den Lehrstuhl Programmiersprachen zu bewerben. Das habe ich allerdings abgelehnt, aber Universitäten waren von jeher flexibel, und wir haben uns auf eine Widmung in Richtung Datenbanken geeinigt.

Sie haben in einer Zeit in der Informatik begonnen, als dieses Fachgebiet noch ganz jung war und Experten noch alle Teildisziplinen überblicken und durchschauen konnten…

Lockemann: … hier sollte man sich keine Illusionen machen, diese Phase ging sehr schnell vorbei. Schon als ich Anfang der Siebzigerjahre nach Karlsruhe kam, war das Gebiet so breit, dass man nicht mehr überall in die Tiefe gehen konnte. Sowohl in Deutschland wie auch in den USA hat man sich allerdings schwergetan, diese Disziplin zu akzeptieren. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel war Computer Science, wie dort Informatik hieß und immer noch heißt, viel enger aufgestellt. Mein Bereich, Datenbanktechnik, war lange Zeit nicht einmal Teil der Computer Science sondern bei den Business Schools mitgelaufen. Ich selber bin durch meine Erfahrungen mit Anwendungen geprägt worden und habe diese auch immer gesucht. Später waren dies vor allem Produktionstechnik, Elektronikentwurf, Verkehrswesen und Gebäudearchitektur. Ich habe deshalb immer stark interdisziplinär gearbeitet. Ich habe mich auch nicht als reinen Technologen gesehen. Neue Anwendungen bedürfen aber natürlich auch neuer Technologien, und ich hatte auch immer Mitarbeiter, die sehr erfolgreich diese Technologien entwickelten. Vielleicht wäre es korrekter zu sagen, dass ich eine Neigung zu top-down Vorgehen habe. Ich habe deshalb den Datenbankbereich immer als Softwaretechnik verstanden und dort als ausgesprochene Systemtechnik. Ähnlich wie bei Betriebssystemen habe ich Architekturfragen als zentral gesehen.

Um welche Probleme zu lösen?

Lockemann: Nichtfunktionale Kriterien wie Performanz haben über 30 Jahre lang die Datenbankarchitektur dominiert, genauer die Langsamkeit des Hintergrundspeichers im Vergleich zum Hauptspeicher. Auf diesem Missverhältnis bauten die Architekturfragen auf, also: Wie lässt sich die Zugriffslücke überbrücken, so dass sie in der Anwendung nicht in Erscheinung tritt? Und so wie die Bedarfe gewachsen sind, so ist auch das Problem größer geworden. Die Übertragungsrate von der Platte in den Hauptspeicher hat sich von etwa 1 MB/s 1970 auf etwa 250 MB/s 2010 gesteigert. Heute beträgt die Zugriffslücke etwa 106, so stark unterscheiden sich heute die Geschwindigkeiten beim Zugriff auf Hauptspeicher und Hintergrundspeicher (Platte). Nun hat mit der Marktreife der SSD ein ganz neues Kapitel begonnen.

Dazu kamen über die Jahre Gastprofessuren am CalTech und am MIT, und Beraterfunktionen bei Wirtschaft und Ministerien und – für Karlsruhe besonders bedeutend – 1985 gründeten Sie gemeinsam mit mehreren Kollegen das Forschungszentrum Informatik Karlsruhe (FZI), waren dann lange Zeit dessen Vorstand (daher Ihr Spitzname »Mister FZI«). Was war Ihr wichtigstes Motiv dafür?

Lockemann: Um es mit dem modernen Slogan des KIT zu sagen: Innovation. Innovation ist der Transfer von Forschungsergebnissen in die wirtschaftliche Nutzung. Das Ziel des Forschungszentrums Informatik war und ist der Technologietransfer von der Forschung in der Karlsruher Informatik in die Wirtschaft. Wir waren damals acht Professoren, und hatten rein altruistische Motive, wenn man mal davon absieht, dass wir uns natürlich über zusätzliche Ressourcen für die Forschung gefreut haben. Für jeden persönlich bedeutete das aber viel mehr Arbeit.

Sind Sie mit der Entwicklung des Forschungszentrums Informatik zufrieden?

Lockemann: Ich bin ja nur noch – wenn auch sehr engagierter – Beobachter. Ich bin begeistert, was die jungen Kollegen in den letzten Jahren daraus gemacht haben. Ich hatte am Ende eine neue und wie es scheint schlagkräftige Organisation umgesetzt. Zunächst war das FZI auf einzelne Professoren zugeschnitten, heute gibt es vier große, kollegial geführte Forschungsbereiche, die sich als eine sehr gutes Basis für Wachstum erwiesen haben. Inhaltlich hat sich das Bild seit der Jahrtausendwende komplett geändert. Angefangen haben wir mit »Informatik für die industrielle Produktion«. Heute ist das FZI viel breiter aufgestellt – kein Wunder, wenn man bedenkt, dass Informatik heute in alle Lebensbereiche eindringt. Ich kann das an meiner eigenen Disziplin sehen, wo sich unter dem Stichwort »Big Data« sich vollkommen neue Herausforderungen herausbilden: eine enorme Informationsmenge im Web, relativ unstrukturiert und textorientiert, dazu embedded systems, die Datenströme überall erfassen, und schließlich die globale Verteilung der Daten

Welche Schwierigkeiten musste das FZI dabei überwinden?

Lockemann: Natürlich hat das Forschungszentrum Informatik das Auf und Ab der Wirtschaft mitgemacht, übrigens immer etwas zeitverzögert. Anfangs kamen unsere Kunden aus den F. & E. Abteilungen der Großunternehmen. Als diese Anfang der Neunzigerjahre sukzessive abgebaut wurden, hat das Forschungszentrum Informatik sich extrem stark auf den Mittelstand konzentriert. Das hat uns damals zwar politisch großes Lob eingebracht, uns aber auch behindert, da wir sehr viel Zeit für die Akquise aufwenden mussten. 2002 hat uns das in echte Schwierigkeiten gebracht. Die bieten aber eben auch Chancen und die wurden – auch dank des Generationenwechsels – hervorragend genutzt. Mit seinen klar gesetzten inhaltlichen Schwerpunkten hat sich das Forschungszentrum Informatik deutlich als Zentrum für Innovationen im IT-Bereich positioniert. Somit ergänzt es sich hervorragend mit der Fakultät für Informatik und ist heute weit über die Grenzen von Baden-Württemberg hinaus anerkannt.

Vor 40 Jahren wurde die Fakultät gegründet, vor 40 Jahren haben Sie Ihre Professur angetreten – und Sie sind unver- ändert präsent in der IT-Szene. Womit beschäftigen Sie sich heute vor allem?

Lockemann: Mir bleibt viel Zeit für Privates, zum Beispiel beschäftige ich mich mit der Sprachförderung in BrennpunktKindergärten und ich reise mit meiner Frau viel in der Welt herum. Aber auch wenn ich vielleicht manchmal bedauern mag, dass ich mich zu früh und zu stark auf die Anwendungen der Informatik konzentriert habe, so habe ich doch einige Themen gefunden, die mich weiter faszinieren, aktuell sind das etwa über das Cyberforum die Projekte Smarter City der Stadt Karlsruhe und Smart Business IT des Landes. Um bei einem Projekt wirklich in die Tiefe zu gehen, braucht man ein großes Forschungsteam und das habe ich nicht mehr. Was ich dagegen kann, ist Projektideen entwickeln und mich an der Entwicklung der großen Linie beteiligen, und da bringe ich mich immer noch im FZI ein. Es erstaunt mich vielleicht selbst am meisten, aber es ist wahr: so schnell veralten Erfahrungen dann eben doch nicht.

Professor Lockemann, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

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